Variante der Heldenreise: Wenn deine Heldin zu Hause bleibt, Teil 1
Über einen Newsletter flatterte heute die Einladung herein, einen Kurs für Belletristik-Autorinnen zu besuchen, bei dem es um die „Heldenreise“ geht.
Beim Durchlesen des Angebots wird klar, dass es wieder um die typische Hero’s Journey geht, die in den USA seit 40 Jahren unterrichtet wird, die aber erst seit ein paar Jahren so richtig in Deutschland ankommt.
Ich finde schön, dass das Konzept der Heldenreise jetzt auch in Deutschland bekannt geworden ist. Trotzdem muss ich mich in letzter Zeit ganz oft in Instagram und Facebook auf die Finger setzen, um nicht lang und breit zu kommentieren. Denn:
Inhaltsverzeichniss
Die klassische Heldenreise ist ein alter Hut
In den USA ist man bei dem Thema schon viel weiter. Die klassische Heldenreise wird im englischsprachigen Ausland seit Jahrzehnten kritisch gesehen und kontrovers diskutiert.
(Achtung: Hier geht es um die Heldenreise als Plot für Bücher und Filme. Das Coaching mit Heldenreise ist eine ganz andere Sache!)
Was ich am wichtigsten finde: Es gibt seit Jahrzehnten Alternativen zur klassischen Heldenreise. Es ist schade, dass das in Deutschland so unter den Tisch fällt, denn für die Plotter unter uns Autoren ist JEDES Plot-Tool eine Bereicherung.
Je mehr Erzählmuster du kennst, umso eher findest du eins, das tatsächlich zu deiner individuellen Geschichte passt oder das du abwandeln kannst.
Ich würde so gern die Details zu den alternativen Heldenreise in Deutschland bekannt machen. Ich finde enorm wichtig, dass Autorinnen und Autoren MEHRERE Modelle in der Hand haben. Erst dann haben sie ein Werkzeug, mit dem sie die Art von Handlungsstrang erzählen können, der zu ihren Charakteren und ihrem Worldbuilding passt.
Ich schreibe diese Blogpost-Serie mit den Infos, die ich sonst in Schreibkursen oder bei der Textsprechstunde weitergebe, weil es mich so sehr NERVT, wenn jemand mal wieder „One size fits all“-mäßig die klassische Heldenreise über alles stülpt.
In den ersten 3 Folgen der Serie geht es vor allem um die von Kim Hudson erfundene Variante der Heldenreise und um erfolgreiche Mischformen dieser Variante mit dem »Klassiker«.
Männer-Heldenreise gegen feministische Heldinnenreise?
Was bei der Diskussion der klassischen Heldenreise oft für unnötige Diskussionen sorgt: Die klassische Heldenreise gilt als „männliche“ Art, eine Herausforderung zu meistern.
Wenn man das sagt, gehen natürlich gleich ganz viele auf die Barrikaden: „Dass man jetzt alles gendern muss! Ätz!“ „Dass Frauen immer ihr eigenes Ding aufziehen müssen!“
Eigentlich geht es aber nicht um das Geschlecht der ProtagonistInnen (oder AutorInnen), sondern um zwei verschiedene Arten, mit einem Problem umzugehen. Manche ProtagonistInnen können ihren Antagonisten besser auf die eine oder auf die andere Art begegnen. (Zumindest aus Sicht der Person, die die Geschichte schreibt.) In der Kurzform nennt man das dann »männlich« und »weiblich«, aber einfach, weil sich noch keine anderen Begriffe durchgesetzt haben.
Nochmal: Beim Plotten geht’s nicht um männlich gegen weiblich!
Wie du in den weiteren Blogposts der Serie sehen wirst, geht es darum:
Bleibt dein Held/deine Heldin zu Hause und steigt dort in die Herausforderung ein? Oder reist er/sie in die »Fremde«, um die Rettung für seine Heimat/seine Familie zu organisieren?
In beiden Fällen ist »Zuhause«, »Fremde«, »Rettung« tatsächlich oder symbolisch zu verstehen, je nach Geschichte.
Die Heroine’s Journey von Maureen Murdock
Es gibt im englischsprachigen Raum schon länger mehrere Alternativen zur klassischen Heldenreise.
Leider ist die „Heroine’s Journey“ von Maureen Murdock, die ich am unbrauchbarsten finde, als einzige Variante halbwegs bekannt.
Vielleicht wegen des Namens, der beim Googeln gleichzeitig mit dem Klassiker gefunden wird? Vor allem aber, seitdem die Theorie aufkam, dass hinter dem erfolgreichen Film Wonder Woman diese Heldinnenreise steht.
Die Virgin’s Promise-Heldenreise von Kim Hudson
Aus meiner Erfahrung ist die „Virgin’s Promise“ genannte Alternative von Kim Hudson die zum Plotten beste Alternative zum Klassiker.
Hudsons Buch ist leider nur in Englisch erhältlich, mit dem sperrigen Titel The Virgin’s Promise: Writing Stories of Feminine Creative, Spiritual, and Sexual Awakening.
Diese Variante hat auch den „Segen“ des Heldenreise-Experten Christoph Vogler. Trotzdem ist sie nahezu unbekannt.
Das mag auch am gewählten Namen liegen — wer sagt schon „Jungfrauenreise“? 🙉🙊
Hudson betont immer wieder, dass die „Jungfrau“ des Titels jeden Geschlechts sein kann; der Begriff »virgin« wird im Englischen auch tatsächlich für Frauen und Männer verwendet. Mich nervt der Name trotzdem.
Jungfrau, Prinzessin, Prinz – Prinzling?
Hudsons „Jungfrau“ (also Held oder Heldin) lebt in einem „Königreich“. Das „Königreich“ ist für die Geschichte das, was das „Dorf“ des Helden der klassischen Heldenreise ist.
Daher beschreibt »Prinzessinnenreise“ diese Plot-Version am besten, aber da hat man vermutlich durch Märchen und Disneyfilme die völlig falschen Assoziationen.
Und welcher Autor/welche Autorin mag für einen actiongeladenen Urban Fantasy-Roman mit Haudrauf-Heldinnen und -Helden nach der „Prinzessinnen-Reise“ als Vorbild greifen?! 😉
„Prinz“ ist in den Köpfen wieder zu stark mit einem männlichen Protagonisten verbunden. Daher verwende ich, passend zum »Königreich« im Moment das Kunstwort „Prinzling“. Ein Prinzling ist für mich männlich, weiblich, nonbinär oder divers. Um zu zeigen: Das Geschlecht der Helden und AutorInnen ist völlig egal bei der Wahl dieses Plots.
(Wenn dir ein besserer Name einfällt: Schreib mir. Ich bin fest überzeugt, dass diese Form von Plot mit einem schönen Namen endlich bekannter würde.)
Was die Harry Potter-Serie, Science Fiction, Dystopien wie »Hunger Games« und viele Fantasy-Bücher mit der Prinzling-Reise zu tun haben, kannst du in Teil 2 und Teil 3 der Artikelserie über Heldenreisen lesen.
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