Variante der Heldenreise: Wenn deine Heldin zu Hause bleibt, Teil 2
In Teil 1 dieser Serie über verschiedene Arten der Heldenreise geht es los.
Hier in Teil 2 geht es um die Alternativen zur klassischen Heldenreise: Wer reist da eigentlich wohin?
Inhaltsverzeichniss
Die Stationen der Heldenreise und der Heldinnenreise
Ganz stark verkürzt dargestellt sehen die Stationen bei Campbell und Murdock wie folgt aus:
Heldenreise nach Joseph Campbell bzw. Christoph Vogler
Die klassische Heldenreise basierend auf Joseph Campbell funktioniert nach dem Schema:
Das Dorf des Helden ist super, aber es wird von außen bedroht. Der Held zieht los in die Fremde, trifft Verbündete, vielleicht einen Mentor und Schwellenhüter, haut alles zu Klump, aber muss trotzdem der totalen Vernichtung ins Auge sehen.
Er triumphiert über das Böse und (optional) bringt die Rettung für das Dorf heim, z. B. ein Artefakt oder ein Gadget, das die Computer der Feine lahmlegt.
(Bei vielen Helden könnte man argumentieren, dass die Helden selbst das „Elixir“ sind, das am Ende als Rettung in das Dorf zurückkehrt. Asterix und Obelix können mit leeren Händen nach Hause zurückkehren: Da sie diejenigen sind, die das Dorf vor den Römern schützen, bringen sie damit die „Rettung“ heim.)
Heldinnenreise nach Murdock
Murdocks Heldinnenreise unterscheidet sich vom Klassiker nur in Nuancen (finde ich) und ist ehrlich gesagt, nicht so mein Ding. Die Anfangsphase spielt länger als beim Klassiker in der normalen Welt der Heldin, bevor das Unheil hereinbricht.
Die Heldin möchte eine von der „Mutterfigur“ als männlich bewertete Rolle einnehmen. Es wird ihr verboten, sie tut es trotzdem und zieht (als das Unheil losgeht) mit männlichen Verbündeten los zu „männlichen“ Abenteuern.
Es kommt zur Krise und letztlich zur Auseinandersetzung mit der Mutterfigur. Viele andere Elemente sind ähnlich zur klassischen Heldenreise.
Der Artikel „Why Screenwriters should embrace the Heroine’s Journey“ stellt (in Englisch) am Beispiel des Films Wonder Woman dar, was Maureen Murdocks »Heroine’s Journey«, also Heldinnen-Reise, von der „männlichen“ Heldenreise (»Hero’s Journey«) von Joseph Campbell unterscheidet.
Murdocks Variante ist eine gute Inspiration zum Plotten, wenn man eine Protagonistin hat, die gegen die ihr zugeschriebene Rolle protestiert, und wenn sich der größte Teil der Handlung „in der Fremde“ abspielt, wie in Wonder Woman.
Diese Heldinnenreise nach Murdock gilt zwar als feministische Reise, aber ich kann sie mir sehr inspirierend für Geschichten vorstellen mit einem Mann oder einem nicht-binären Protagonisten, die gegen eine Mutterfigur/Vaterfigur angehen und verschiedene „untypische Rollen“ ausprobieren müssen, um ihren Platz in der Welt zu finden.
Variante 3: Der Kampf gegen das tyrannische Zuhause
Kim Hudsons „Virgin’s Promise“ stellt eine andere Möglichkeit vor. Das Buch ist leider nur in Englisch erhältlich, mit dem sperrigen Titel The Virgin’s Promise: Writing Stories of Feminine Creative, Spiritual, and Sexual Awakening. (Amazon Affiliate Link)
Bei dieser Heldenreise ist entscheidend: Die Handlung bleibt dort, wo sie beginnt. Also ganz im Gegensatz zur klassischen Reise und zu Murdocks feministischer Heldenreise, die beide »in die Ferne« ziehen!
Die Stationen der Prinzling-Heldenreise
Ganz verkürzt gesagt: Bei der Prinzling-Heldenreise ist die Heldin/der Held Teil einer Gesellschaft, die sie mit Macht in rigide Schranken pressen will.
Die Gesellschaft wirkt (evtl.) nach außen heil und funktionierend, aber ist im Grunde kaputt.
Die Protagonistin entdeckt im Geheimen ein Talent und dann einen Ort, wo sie dieses Talent ausleben und verbessern kann. Aber ihr „geheimes“ Leben und die Regeln der Gesellschaft geraten immer mehr in Konflikt.
Eines Tages fliegt sie auf und wird bestraft.
Sie kann sich befreien und versucht, ihre „geheime Welt“ und die Realität zusammenzubringen, was zum Showdown führt (der auch reichlich Action haben kann). Ist das Buch/der Film keine Tragödie, verändert die Heldin und ihr Kampf letztlich das korrupte Regime/die kaputte Gesellschaft mindestens ein Stück weit positiv.
(Mehr über die einzelnen Stationen des Plots kann man, in englisch, in diesem guten Blogpost von Melanie Marttila nachlesen: Mythic Structure: The Virgin’s Promise, Part One)
Abenteuerplot gegen Kampf in der Heimat – ist das weiblich?
Diese Form der Heldenreise gilt als „weiblicher“ Plot, weil die HeldInnen nicht losziehen und Abenteuer erleben.
Dass aber dieses „in die Fremde ziehen“ als die klassische Form und das Ideal aufgefasst werden, liegt zum einen an den literarischen Vorbildern, die Joseph Campbell kannte, als er die Struktur in den 1940er (!!) Jahren verfasst hat.
Zum anderen liegt es daran, dass man mit dem Schema prima einen typischen Abenteuerroman schreiben kann. (Indiana Jones, Abenteuer des Herkules, …)
Hudson zeigt in ihrem Buch sehr schön auf, dass man(n) bei Campbells Heldenreise in der Fremde ungestraft alles zu Klump zerlegen kann.
Man kann als Autor*in den Helden auf der Reise auch auf interessante Art mit seinen neuen Freunden/Verbündeten zusammenbringen – und am Schluss springt der Held aus dem Flugzeug, raucht mit seinen Kumpels eine Zigarre und das Publikum grinst glücklich mit.
Denn zu Hause ist ja jetzt alles in Butter – wie es woanders aussieht, ist für den Plot egal. Das hilft, einen coolen, schnellen Schluss zu schreiben. Das schreit doch alles nach Action- und Abenteuerfilm, oder?
Die Helden der Virgin’s Promise-Reise haben es da schon schwerer. Denn wer „zu Hause“ Gebäude, Dinge, Menschen, Artefakte „ohne Grund“ oder mit „böser Absicht“ zerstört (aus Sicht des herrschenden Systems), der fällt auf. Der wird bestraft. Der kommt am Ende nicht einfach damit durch, dass er/sie das Dorf gerettet hat.
Die Protagonisten der Heldenreise nach Hudson finden ihre Freunde auch nicht in der Fremde, sondern zu Hause. Die Freunde sind deshalb auch Teil des Systems und werden erst im Lauf der Handlung ihr wahres Gesicht zeigen: Sie wachsen mit der Heldin oder sie verraten sie an das Regime.
Ein paar „Heldinnen“, die diesen Prinzling-Plot leben sind z. B.:
- Harry Potter (wenn er z. B. mit seinen Freunden Dumbledore’s Army gründet und im Geheimen trainiert).
- Poes Handlungsstrang in „Last Jedi“. (Reys Handlungsstrang hingegen folgt der klassischen Heldenreise bis aufs i-Tüpfelchen. Dieser gender swap ist meiner Meinung nach der Hauptgrund, warum so viele Menschen Probleme mit dem Film haben, ohne wirklich begründen zu können, wieso.)
- Letztlich folgt jeder Film und jedes Buch diesem Plot, in dem der Held nicht in die Fremde zieht, sondern gezwungen ist, an Ort und Stelle in den Widerstand zu gehen. Also z. B. viele Dystopien und Science Fiction. (Mehr dazu in Teil 3.)
Wobei „Widerstand“ nicht unbedingt im wahrsten Wortsinn gemeint ist:
„Kick it like Beckham“ hat eine Prinzling-Heldenreise und „Shakespeare in Love“ auch.
(Während z. B. Jupiter in „Jupiter Ascending“ eine männliche Heldenreise durchlebt. Inklusive komplett zerstörtem Planeten, den sie pfeifend zurücklässt, während sich zu Hause wirklich nichts geändert hat. Mehr dazu in Teil 3.)
Hier geht es weiter zu Teil 3 der Artikelserie Die Heldenreise von Roman und Autorin.
In Teil 3 geht es um die Varianten, die Bestsellerautoren verwenden und warum diese Alternativen zur klassischen Heldenreise für alle AutorInnen relevant sind – egal, welches Geschlecht die AutorInnen oder die ProtagonistInnen der Geschichte haben.
Du kommst an einer Stelle mit deinem Buch nicht weiter? Buch eine Textsprechstunde bei mir. Wir springen direkt in deinen Text und ich beantworte dir alle Fragen.