Variante der Heldenreise: Wenn deine Heldin zu Hause bleibt, Teil 3
In Teil 1 dieser Artikelserie über verschiedene Arten der Heldenreise geht es los.
In Teil 2 der Artikelserie habe ich dir die klassische Heldenreise und die Alternativen näher vorgestellt.
Das ist immer die Stelle, wo in Schreibkursen oder Autorensprechstunden die wilden Diskussionen losgehen darüber, welche Bücher und welche Filme tatsächlich welchem Schema folgen.
Darum geht es heute in Teil 3, wo ich dir die kombinierte Heldenreise vorstelle.
Inhaltsverzeichniss
Woher kommen die Mischformen der Heldenreise?
Eine häufige Kritik an den wenigen erfolgreichen Actionfilmen aus Hollywoodfilmen mit einer Heldin ist, dass man nur ein »gender-swap« vollzogen habe. Also ein Mann schreibt die Geschichte mit einem Mann als Helden mit der klassischen Heldenreise – und auf dem Weg zur Verfilmung wird er durch eine Frau ausgetauscht. Sonst bleibt alles gleich.
Besonders Frauen, die Geschichten schreiben, erschaffen hingegen oft Varianten für ihren Plot. Sie plotten ihre Geschichte nach der klassischen Heldenreise (weil das überall als »Standard« vorgestellt wird), aber sie stellen dann beim Schreiben fest, dass es nicht so richtig zu ihrem Buch und den Protagonisten passt.
Ohne groß darüber nachzudenken, verändern sie Elemente der Heldenreise beim Schreiben, bis es vom Gefühl her „passt“. Vor allem, wenn sich die Geschichte über mehrere Bücher hinzieht. Dieses »Gefühl« wird gespeist aus Büchern und Filmen, die sie gesehen haben, aus ihren eigenen Erfahrungen und aus unserem Instinkt für archetypische Figuren und Plots.
Was ich ungemein spannend finde ist die Folge daraus: Ganz viele Bestseller von Frauen (z. B. Harry Potter, Hunger Games) kombinieren beide Arten der Heldenreise!
Wenn diese Bücher Bestseller werden, verselbstständigt sich der Mischplot. Denn wenn andere Autorinnen und Autoren den Plot des »Erfolgsmodells« kopieren, entsteht eine eigene Mischform von Heldenreise.
»Aber ich habe das nicht so geplottet!«
Die (häufig männlichen) Autoren von Science Fiction- und Fantasy-Bücher bekommen gern einen Anfall, wenn man an ihrer Geschichte eine perfekte Prinzling-Reise nachzeichnet. „Das war nicht mein Vorbild! Ich habe von der Frau Hudson noch nie gehört! Ich habe den Plot ganz ohne Schema F komplett selbst erfunden!“
- Zum einen geht es bei Heldenreisen aller Art um archetypische Charaktere und Handlungen. Diese stehen den Autor*innen und Leser*innen instinktiv zur Verfügung. Also ohne sich je mit Plotvorgaben zu beschäftigen.
- Zum anderen lesen die meisten Autoren viel. Die Plots, die man gelesen hat, schlagen sich in den eigenen Manuskripten nieder. Ob man sich das eingesteht oder nicht. 😉
Die Kombination kann schiefgehen
Wenn man die kombinierte Heldenreise übernimmt, ohne zu merken, was da passiert, kann es beim Schreiben zum Stolpern führen. Denn die von Hudson beschriebene Reise „innerhalb des Königreichs“ folgt anderen archetypischen Regeln als die klassische Heldenreise von Campbell.
Natürlich kann und soll jede Autorin und jeder Autor Plotvorgaben frei abändern und neu erfinden, aber man sollte sich bewusst sein, was man da tut. Denn jede Abweichung kann beim Leser zu einem Gefühl von Dissonanz führen.
Zum Beispiel wenn die Heldin eigentlich ein Prinzling im Widerstand in der Heimat ist, dann aber in die Fremde zieht und Abenteuer erlebt und mit dem Elixir triumphierend nach Hause reist. Da folgen dann die Buch-Rezis, wo Leserinnen schreiben: „Den Schluss fand ich total unglaubwürdig!“ Oder „Ja, aber es ist doch gar nicht alles gut, am Ende?!“
Wenn das Plotten schief geht
Mir ging es z. B. bei „Jupiter Ascending“ so. Was hätte das für ein toller, schräger Film werden können! Kultige Scifi-Fantasy-Romance. Abgesehen von vielen anderen Plot-Details des Films, wo man sich fassunglos an die Stirn schlägt, zerstört ihn das Ende. Das Ende ist lustig gemeint (glaube ich), aber es ist einfach nur befremdend.
Ich habe bisher noch keine Frau getroffen, die den Film geschaut hat, und die am Ende nicht vor Wut durch die Decke gegangen ist. „Wieso muss sie denn immer noch Klos putzen?!!“ „Warum tritt sie ihrer Familie nicht in den Arsch und baut sich mit Caine woanders ein cooles Leben auf?!!“
Das Ende ist (übertrieben gesprochen) so, als ob J. K. Rowling Harry Potter und seine Freunde Voldemort besiegen lässt – und dann huschen sie alle ins Internat zurück, wo sie unter der Knute von Dolores Umbridge leben.
Und genau das passiert, wenn man ohne es zu merken, verschiedene Heldenreisen falsch mischt.
Meine Heldin/mein Held sitzt an Ort und Stelle fest
Prinzlinge zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht wie die Prinzen im Märchen in die Fremde ziehen und Abenteuer erleben.
Das „Königreich“ ist für den Prinzling-Plot viel entscheidener, als das „Dorf“ des Helden in der klassischen Heldenreise. (Da die Serie »Hunger Games« nach diesem Plot arbeitet und Teile von der »Harry Potter«-Serie, ist klar: Wir reden nicht von ECHTEN Königreichen.)
- In jedem Königreich gibt es Regeln, denen die Heldin sich zu beugen hat.
- Ihr Leben lang werden Prinzlinge auf die zukünftige Rolle vorbereitet, ihre Flügel werden beschnitten, es wird ihnen eingeredet, dass sie sich den Normen dieses Königreichs zu beugen haben. (Denk an Viola im Film „Shakespeare in Love“.)
- Weil sie an das Königreich gebunden sind, können Prinzlinge nur vor Ort, im Geheimen ihre wahren Talente ausleben.
- Prinzlinge sind in der Realität des Hofstaats verwurzelt: Wenn der Monarch stirbt, muss ein Prinzling sofort greifbar sein, um die Rolle einzunehmen. Sie können das „Königreich“ nicht verlassen! In deinem Buch muss dir ein triftiger Grund einfallen, warum deine Heldin/dein Held bei Druck durch das System nicht einfach weggehen!
Das Königreich ist nur ein Sammelbegriff
Das „Königreich“ des Prinzlings kann alles sein:
- Das Imperium in STAR WARS,
- die Rebellenarmee in STAR WARS (in „Last Jedi“),
- Hogwarts unter Leitung von Dolores Umbridge,
- Präsident Snow ausgeliefert zu sein als Stellvertreter für die gesellschaftlichen Regeln in HUNGER GAMES,
- die gesellschaftlichen Konventionen für Frauen in »Shakespeare in Love« und anderen historischen Settings
- ein LGBTQ+ Charakter in einer konservativen Familie oder an einer typischen amerikanischen High School.
Die Prinzling-Reise passt zu vielen Science Fiction und Fantasy-Büchern!
Die Hudson-Heldenreise wird ignoriert, weil man sie als „Heldenreise für Frauen“ abtut.
Dabei beherrscht in unzähligen Dystopien, Science Fiction und (Urban) Fantasy-Büchern ein ganz und gar nicht „märchenhaftes“ Königreich das Leben der Helden – und der Plot folgt genau dem von Hudson beschriebenen Ablauf!
Es macht nämlich häufig einfach keinen Sinn, das zentrale Problem im Leben eines Protagonisten mit der „Reise in die Fremde“ zu beantworten!
Es geht also nicht darum, dass Männer als Protagonisten die eine Art von Romanhandlung erhalten und Frauencharaktere die andere, sondern Autor*innen bekommen ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie die Art von Handlungsstrang erzählen können, der zu ihrem Charakter passt.
Wie plotte ich mit den Varianten der Heldenreise?
Wenn du mich schon länger kennst, weißt du, dass ich ungern in Schwarz-Weiß und harten Vorgaben denke.
Was mir stattdessen wichtig ist:
- Dass du als Autor/Autorin einen möglichst großen Werkzeugkasten hast, aus dem du dich beim Plotten und Schreiben bedienen kannst.
- Dass du bereit bist, MUSTER in den Büchern und Filmen zu erkennen, die dir gefallen und die du (vielleicht unbewusst) als Vorlage für dein eigenes Plotten wählst.
Ich reite z. B. gern auf dem „Letzten Jedi“-Film herum, weil ich atemlos im Kino gesessen habe, als mir klar wurde, dass jemand lupenreine Formen der beiden Heldenreisen verwendet hat – mit vertauschten Geschlechtern: War das Absicht? War das Zufall?
Die Zuschauerreaktionen legen nahe, dass Menschen (leider) immer noch ein Problem damit haben, wenn man genau das tut. Aber für mich als Autorin ist genau so etwas superspannend in der Plotting-Phase:
- Gender-Swap: Was, wenn du eine feministische, archetypische Reise wie Murdocks Heldinnenreise nimmst – und einen bewusst männlichen Protagonisten da durchlaufen lässt? Wie verändert sich der Plot dann?
- Der Feind zu Hause: Was, wenn dir auffällt, dass du gerade den 500. Urban Fantasy-Roman schreibst, wo eine taffe Heldin eine männliche Heldenreise durchlebt – und du auf einem Packen (virtueller) Post-Its mal damit herumspielst, sie stattdessen die Prinzling-Reise zu Hause durchleben zu lassen? Wenn die Bedrohung von außen gleichbleibt – was verändert sich, wenn der Antagonist das heimische Umfeld ist? Wenn die Freunde und Unterstützer nicht (die üblichen) Typen sind, die sie erst dann trifft, wenn sie von zu Hause aufbricht, sondern die, die genauso wie sie im System gefangen sind? (Das siehst du z. B. in vielen Folgen der BUFFY-Serie.)
Es kann sein, dass du beim Schreiben dann das meiste von diesen Plot-Spielereien verwirfst — aber diese »Spielereien« bereichern deine Geschichte trotzdem um ein paar spannende Szenen oder ungewöhnliche Charaktere. Und das mit sehr geringem zeitlichen Aufwand.
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