Was ist die NaNoWriMo Kontroverse 2024?

2024 läuft etwas anders, als in vorherigen Jahren. Es gab immer schon ab und zu Drama in den Foren und nach dem Ausscheiden des NaNo-Erfinders Chris Baty gab es immer mal wieder Diskussionen zwischen AutorInnen und dem Orga-Team. Aber die TeilnehmerInnen-Zahlen stiegen trotzdem Jahr für Jahr. Jetzt brummen gerade die Autorenkanäle auf YouTube und auch Booktok: »Bist du dieses Jahr überhaupt beim NaNoWriMo dabei?« »Nein, für mich geht dieses Jahr eine Ära zu Ende.«

Manche AutorInnen lassen sich auch aus den Annalen der Seite streichen. Was ist passiert?

Inhaltsverzeichniss

Angeblich mangelhafter Schutz von Minderjährigen

Anfang 2024 sah sich die NaNoWriMo-Organisation mit Vorwürfen konfrontiert, sie habe es versäumt, die jungen Teilnehmer ihres Young Writers Program (das eigentlich ein sicherer Zufluchtsort für Kinder und Jugendliche sein sollte) ausreichend zu schützen. In Foren wurde diskutiert, dass sich ein Moderator der NaNoWriMo-Foren angeblich unangemessen (Grooming) gegenüber minderjährigen Nutzern verhalten habe. In einer Pressemitteilung des NaNo-Vorstands wird anerkannt, dass trotz interner Diskussionen und der Kenntnis, dass der Moderator problematisch war, die Beschwerde mit dem Kommentar „keine Beweise wurden gefunden“ abgetan wurde und der Moderator im Amt blieb. Erst nach einem öffentlichen Aufschrei reagierten sie – und sperrten den Foren-Moderator lediglich für sechs Monate.

Es passte für viele Teilnehmenden in ihre eigenen Erfahrungen, dass Municipal Liasons, kurz ML, und andere Moderatoren nicht genug im Vorfeld geprüft würden und bei Verstößen nicht gesperrt, sondern sogar über Jahre ihre Position behalten würden. Dass es da ein Problem gab, das mindestens seit 2022 besteht, beschreibt der NaNo-Vorstand in einer Pressemitteilung vom 15. Novemeber 2023.

KI-Kritik unerwünscht

In einer im August 2024 veröffentlichten Zendesk-Erklärung sagte NaNoWriMo, dass die Nutzung von KI beim Schreiben deines Romans in Ordnung sei: »NaNoWriMo unterstützt nicht ausdrücklich einen bestimmten Ansatz beim Schreiben, noch verurteilt es ausdrücklich einen Ansatz, einschließlich der Nutzung von KI. Die Mission von NaNoWriMo ist es, ‚die Struktur, Gemeinschaft und Ermutigung bereitzustellen, die Menschen hilft, ihre Stimmen zu nutzen, kreative Ziele zu erreichen und neue Welten zu erschaffen – auf und abseits der Seite.‘ Wir erfüllen unsere Mission, indem wir die Menschen unterstützen, die das Schreiben übernehmen.« (Übersetzung von mir)

 

Aber, der Beitrag fuhr fort (dieser Teil wurde mittlerweile entfernt): »Wir möchten auch klarstellen, dass die kategorische Verurteilung von Künstlicher Intelligenz elitistische (»classist«) und behindertenfeindliche (»ableist«) Untertöne hat und dass Fragen zur Nutzung von KI mit Fragen des Privilegs verbunden sind. (…) Klassismus. Nicht alle Schriftsteller haben die finanziellen Mittel, Menschen zur Unterstützung zu engagieren (…) Ableismus. Nicht alle Gehirne haben die gleichen Fähigkeiten (…) Manche Gehirne und Fähigkeitsstufen benötigen externe Hilfe …« (Quelle: siehe unten. Übersetzung von mir)

 

Die Formulierung (in einer späteren Pressemitteilung von NaNo selbst als unglücklich bezeichnet) führte zu einem Backlash. Besonders, weil das Tool ProWritingAid ein neuer Sponsor von NaNoWriMo ist – und sie kürzlich ein KI-Tool in die Software integriert haben. Dies führte dazu, dass einige vermuteten, finanzielle Interessen hätten die Haltung beeinflusst. (Dies knüpft an die Kontroverse von 2022 an, als zwei Verlage Sponsoren von NaNoWriMo waren, die offiziell keine Selbstzahler-Verlage sind, aber als problematisch gelten, da sie (unter anderem) Algorithmen zur Auswahl von Autoren statt redaktioneller Qualitätskontrollen verwenden.)

Diese Position verärgerte viele Schriftsteller:

– z. B. aus Disabled-Communities; sie waren wütend darüber, als Ausrede benutzt zu werden, und posteten nachdenkliche und zum Nachdenken anregende Videos auf BookTok und anderen sozialen Medien; sie fühlten sich vom Organisationsteam als »minderwertig« betrachtet, als ob sie ihre Schreibziele nur mit der Nutzung von KI erreichen könnten.

– Und die AutorInnen, die glauben, dass KI den Wert menschlicher Kreativität mindert und sich auf die unautorisierte Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material stützt, um zu funktionieren.

 

Einige prominente Autoren traten aus Protest vom Writers Board von NaNoWriMo zurück, und viele Teilnehmer haben geschworen, die Veranstaltung zu boykottieren. Dies sei nicht mehr »ihr« NaNoWriMo.


Die Pressemitteilung von NaNoWriMo sagt dazu: »Wir entschuldigen uns, dass unsere ursprüngliche Botschaft unklar und scheinbar willkürlich war. Unsere Anmerkung zu Ableismus und Klassismus war in dem Bestreben verwurzelt, darauf hinzuweisen, dass für Menschen in bestimmten Umständen einige Formen von KI lebensverändernd sein können. Wir glauben sicherlich nicht, dass diejenigen, die Bedenken gegenüber KI haben, klassistisch oder ableistisch sind. Nicht vorsichtiger mit unserer Wortwahl zu sein, war eine schlechte Entscheidung unsererseits.« (Quelle: siehe unten. Übersetzung von mir)

Foren abgestellt

Um die Sache noch schlimmer zu machen, wurden die Foren abgeschaltet. Die Leute interpretierten dies so: Die Räume, um über diese Kontroversen zu diskutieren, wurden ihnen genommen. Einige spekulierten, dass dies auf Änderungen in der Verwaltung von NaNoWriMo zurückzuführen sei. Die Foren sind seit fast zwei Jahrzehnten ein zentraler Teil der Community, und ihr Abstellen wird als symbolisch für tiefere Veränderungen innerhalb der Organisation angesehen.

Auf der Website steht, dass sie die Foren vorerst geschlossen haben, sie aber nach umfangreichen Hintergrundüberprüfungen des Personals und der Implementierung von Schutzmaßnahmen wieder öffnen werden.

 

Diese Störungen, kombiniert mit betrieblichen Änderungen wie reduzierter Mitarbeiterzahl und weniger regionalen Municipal Liaisons, geben einigen das Gefühl, dass NaNoWriMo ab jetzt weniger gemeinschaftszentriert laufen wird.

Was ist mein Take dazu?

Ich bin seit 2008 beim NaNoWriMo, als es in Deutschland noch so gut wie unbekannt war. Für mich kam der große Disconnect schon viel früher, als Chris Baty als Chef ausgestiegen ist. 

Das neue Team hat sich echt bemüht. Aber da sie finanzielle Verluste eingefahren haben, haben sie einiges ändern. Es gab einen Relaunch der Seite (zum Schlechteren), es wurde (gefühlt) alles kommerzieller. Noch mehr »NaNoWriMo-Communitiy-Spirit«, mehr Sponsoren und Merch.

Mich stört dabei nicht der kommerzielle Aspekt – sie müssen die ganzen Mitarbeiter, IT, Server, Community-Aktionen etc. ja bezahlen. Aber sie haben genau den Aspekt betont, den ich nicht nutze.

Ich wollte (bis Long Covid bei mir zuschlug) jeden November wirklich 50.000 Wörter schreiben. Dafür brauche ich:

Was ich nicht brauche, sind zeitfressende und ablenkende Foren und ganz viel Community, wo ich Posts lese oder selber schreibe.

Deswegen bin ich immer noch zu 100 Prozent überzeugt, dass die NaNoWriMo-Aktion das eigene Schreiben unglaublich weiterbringt, wenn man Romane schreiben möchte.

Aber man braucht dazu nur das Event und nicht das ganze Zeug drumherum.

Moderation

NaNoWriMo schreibt selbst, dass die Mitarbeiter das allein geregelt haben (ohne es nach oben zu melden) und sie nichts gegen den betroffenen Moderator unternommen haben, der in vierlei Hinsicht »problematisch« gewesen sei. Das ist eine unglaubliche Sauerei und ich kann gut verstehen, wenn AutorInnen sich von dem Orga-Team abwenden!

KI

Ich fand das Wording der KI-Pressemitteilung sehr unglücklich.

Und völlig unnötig: Für mich war der Einsatz von KI beim NaNo eigentlich ein »Non-Issue«. Denn NaNoWriMo funktioniert nach dem Ehrenprinzip: Ob man am 30.11. tatsächlich sein eigenes Manuskript oder 130 Seiten kopierte Wikipedia-Einträge hochlädt, war schon immer allein die eigene Entscheidung. Die einzige Person, die man »betrügt«, ist man selbst!

Ob man das Schreiben mit KI als Betrügen ansieht oder nicht, ist eine andere Diskussion. Aber ich fand es an sich in Ordnung zu sagen: Die Leute sollen so für NaNo schreiben, wie sie möchten, inklusive mit KI-Tools.

Man könnte zum Beispiel auch zu zweit ein NaNo-Buch schreiben und hätte dann auch einen gewissen Vorteil gegenüber einer Person, die sich allein durch die 50.000 Worte kämpfen muss. 

Aber NaNo ist DEIN Ding. Du bekommst heraus, was du an Mühe hineinstecken kannst. (Wenn die KI deinen Roman schreibt, lernst du mehr übers Prompten als über das Romanschreiben.) Aber  wenn Claude oder ChatGPT dir an ein paar Stellen helfen, wo du im Plotloch gesteckt hast? Who cares!

Das Wording, dass Kritik an KI ableist und classist sei, hat mich hingegen wütend gemacht. Allein schon der Gedankensprung, dass KI-Kritik per se behinderfeindlich und elitär sei, macht mich sprachlos vor Wut.

Was nun?

1.) Du könntest beim NaNoWriMo mitmachen und dich einfach auf dein Projekt konzentrieren. Es kostet keine Gebühr, du wirfst also einem umstrittenen Orga-Team kein Geld hinterher. (Das ist ja genau ihr Problem: Alle wollen gratis mitmachen, aber es enstehen massive Kosten.)

 

2.) Es gibt wohl eine (kleine) Konkurrenzveranstaltung »Any Novel Writing Month«, wo man über 2 Monate schreibt und diese müssen nicht im November liegen. Aber ich habe darüber nur in einem YouTube-Kommentar gelesen und noch keine Webseite dazu gefunden. Schreib mir gern, wenn du andere Events für November findest. ((Link Kontaktseite)) Dann ergänze ich sie hier.

 

3.) Sarah Cannon von Heart Breathings wird ein eigenes Event »Rough Draft Writing Challenge« im November anbieten. Was ich Klasse finde: Sie wird unterschiedliche Ziele anbieten, ich glaube 10K, 25K, 50K und 100K. Mehr Details konnte ich Stand heute (30.10.24) noch nicht auf ihrer Webseite finden.

Man kann auf ihrem YouTube-Kanal aber auch ohne für das Event registriert zu sein im November Writing Sprints etc. mitmachen. (Als Europäer schauen wir meist die fertige Aufnahme, da das Live-Event zu US-Zeiten stattfindet.) Link: siehe unten

 

4.) Es gibt verschiedene Schreibgruppen auf Discord (meist englisch-sprachig), die unterschiedliche Schreib-Challenges anbieten. Meist arbeiten sie mit interaktiven Spreadsheets: Du trägst dein Wortziel und die Zeitdauer ein, dann täglich deinen Fortschritt und die Tabelle zeigt dir, wie dein Pensum abnimmt. 

Ich persönlich finde ein Excel-Sheet nicht so motivierend. Ich brauche etwas mehr Farben, Fortschrittsbalken … Wie hier: Unten ein Screenshot vom alten NaNoWriMo (Stand 2014, glaube ich).

Ich konnte jeden Tag sehen, wie mein Fortschritt gewachsen ist und links zählte das System die Faktoren auf. Auch nicht wirklich sexy, aber besser als Excel oder GoogleSheets. 😉