Schlüsselszenen Roman plotten

Es kann ein Fehler sein, ganz ohne Plot oder groben Handlungsfaden zu starten. (Die Gründe liest du im Artikel »Plotter, Pantser oder Gärtner?«

Bevor du dir vornimmst, ernsthaft einen Roman zu schreiben, ist es hilfreich, eine grobe Vorstellung von deinem Plot zu haben. Viele Autor*innen überspringen diesen Schritt und fühlen sich dann mitten im Schreibprozess festgefahren oder uninspiriert.

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Warum »ernsthaft«?

Oben sage ich »Bevor du dir vornimmst, ernsthaft einen Roman zu schreiben«. Warum ernsthaft?

Jedes Projekt, das du fertigschreibst, bringt deine Schreibproduktivität und dein Know-how übers Schreiben weiter. 

Es kann sich lohnen, mal einen Roman als »Spaßprojekt« anzugehen. Am besten einen Kurzroman (und kein Fantasy-Epos mit 500 Seiten). Für solche kurzen Romane, die du für deine eigene Weiterentwicklung als AutorIn schreibst und nicht (unbedingt) für die Veröffentlichung, musst du vorher nicht alle Schlüsselszenen plotten.

Warum ein Spaßprojekt sinnvoll sein kann, liest du in »Plotter, Pantser oder Gärtner?« )

Schlüsselszenen plotten

Zum Plotten folgt nächstes Jahr eine Artikelserie. Hier erst einmal die Kurzform.

Und zwar in meiner Lieblingsreihenfolge beim Plotten. Aber die Reihenfolge ändert sich je nach Projekt: Bei manchen Projekten »sehe« ich als erstes den Showdown vor mir, bei einem anderen Buch vielleicht den Start mit der »normalen« Welt und dann die Aufregung, die in diese Welt hineinbricht. Fang da an, wo du das Projekt schon kennst!

Plot Point 1 – Der »Oh Shit!«-Moment

Stell dir dein Buch als Kinofilm vor. Kamera läuft, Tom Cruise hängt an einer Fingerspitze über dem Abgrund und eine Klapperschlange windet sich immer näher heran …

Was ist dieser Moment für deine Geschichte?

Es ist ganz egal, ob du Romance, Science Fiction, Abenteuer oder Young Adult schreibst: Wenn wir als LeserInnen deinen Charakter das erste Mal so richtig »in Action« sehen: Welcher Moment ist das? 

Hier geht es nicht um den Showdown, sondern um eine Szene kurz nach dem Anfang, wo die bisherige Welt aus den Fugen gerät:

Du hast alle Ideen festgehalten? Super. Genau der richtige Moment, um die Gegenszene dazu zu schreiben: die heile Welt.

Startszene, »heile Welt«

Was ist der Startpunkt der Geschichte? Du weißt jetzt, ab wann deiner Heldin alles um die Ohren fliegt (siehe oben). Aber wie sah es vorher bei ihr aus? Was war ihr Alltag, bevor sie in Abenteuer/eine Liebesgeschichte/… verstrickt wurde?

Häufig löscht oder verschiebt man später im Lektorat das erste Kapitel, da moderne Lesende lieber gleich mit Action mitten in die Geschichte springen (siehe oben). Aber die Startszene ist ein guter Startpunkt fürs Schreiben, weil du dann mit der Protagonistin die »heile« Welt, aus der sie stammt, entdeckst.

Heile Welt – mit Hai

Autorin und Schreibcoach Lani Diane Rich, bei der ich vor einigen Jahren ein Plotting-Seminar absolviert habe, gab uns mit auf den Weg, dass man schon in der »heilen Welt« der Startszene »den Schatten der Haiflosse im Wasser« sehen muss. 

Stell dir deinen Roman wie den Film »Der weiße Hai« vor: Man kann am Anfang lachende Menschen beim Baden am Strang zeigen – spannend ist das nur, wenn man aus den Augenwinkeln einen Schatten sieht, der der weiße Hai sein könnte. Also eine leise Ahnung von der Präsenz des Antagonisten.

Mir hilft dieser Tipp dabei, um für AutorInnen schneller den idealen Einstieg für die Geschichte zu finden. Manche Locations und Charaktere eignen sich einfach besser, um die kommenden Herausforderungen kurz anzudeuten.

Midpoint – Erkenntnisse, Geheimnisse

In meinem eigenen Schreiben und beim Arbeiten mit RomanautorInnen habe ich gemerkt, dass meist der Midpoint die Szene deines Buches ist, die du unbedingt vor dem Schreiben kennen solltest. 

Auch die Szene, die am wenigsten Beachtung in der Autoren-Community findet!

In den Plot-Anleitungen in Büchern und im Internet steht dazu leider meist kaum Info. Deshalb bin ich sehr begeistert, dass Jessica Brody in »Save the Cat writes a Novel« genau dazu ein langes Kapitel mit Ideen geschrieben hat.
Mir hilft am meisten das innere Bild, dass sich am Midpoint »alles einmal drehen muss«: 

In einer Romance ist der Midpoint meist die Sexszene (oder die innige Kuss-Szene in cleaner Romance), das macht Romances leichter zu plotten.

Aber was ist mit allen anderen Romangenres?

Wenn du viel liest, hast du vermutlich mindestens eine solche »Es dreht sich alles einmal«-Szene im Buch. Das ist narrativer Instinkt. 

Ganz viele der Romanautorinnen, die in meiner Beratung landen, haben so eine Szene in ihrem Manuskript oder ihrem Plot. Trotzdem stecken sie beim Schreiben fest. Warum?

 

Wenn man den Zeitpunkt nicht bewusst wählt, kommt diese Szene meist zu früh oder zu spät.

Deswegen gebe ich »meinen« AutorInnen Hausaufgaben:

Sagen wir mal: Ein Abenteuer-Roman mit 300 Seiten. Dann kommt der Midpoint ca. auf Seite 150. Bei Büchern für Erwachsene rechnet man mit etwa 8 bis 12 Seiten pro Kapitel. Also im ca. 15. Kapitel kommt schon der Midpoint.

Das heißt: Du hast 14 Kapitel, um die Welt aufzubauen, das Abenteuer/die Story anzustoßen, Fortschritte und Rückschläge einzubauen.

Das macht das nebulöse Ding »Roman« viel greifbarer und gibt dir eine Rettungsleine, an der du dich bis zur Mitte der Buches entlanghangeln kannst.

Darkest Moment – »Ich bin am Ende«

Der »Darkest Moment« ist genau der Moment, wo ich im Kino heule. Egal ob Liebesgeschichte oder Science Fiction: Hier scheint alles verloren. Der Held bekommt vorher schon sein Fett ab, erleidet Rückschläge, aber jetzt scheint wirklich alles verloren. Ohne diese »dunkle Stunde der Seele« erscheint das Happy End am Schluss nur halb so strahlend. *

 

Wir nehmen es beim Plotten als Plotser nicht so genau. Wenn der Midpoint die Hälfte des Buches ist, steht der Darkest Moment etwa auf der Hälfte zwischen Midpoint und Ende, also irgendwo kurz vor dem Showdown.

Je nach Genre kann das auch alles etwas gequetschter beieinander passieren. In der Romance z. B. halten sich die Charaktere häufig eine ganze Weile am Midpoint auf: Sex, endlich zusammen, Tage im Bett. Und plötzlich: das große Missverständnis, alles scheint verloren, der Darkest Moment zieht sich evtl. über ein paar Kapitel, in denen sie wie Hund leiden, dann der »Showdown« ganz kurz, wie sie alles wieder ins Lot bringen.

*Apropos Happy End:

Falls du Tragödien schreibst, ist der »Darkest Moment« das Signal an die Lesenden, dass es ab jetzt rasant in den Abgrund geht. Wenn du ganz fies bist, gibst du ihnen danach noch kurz einen Lichtblick, eine falsche Hoffnung, bevor es in den Abgrund geht. (Leider werde ich als Leserin dich dafür hassen. 😉

Showdown – es geht ums Ganze!

Den Showdown plotte ich persönlich nicht im Detail. Es macht mir mehr Spaß, beim Schreiben die Einfälle sprudeln zu lassen, was ich meinen HeldInnen noch in den Weg werfe und wie sie ihre Schwächen überwinden und zusammen die Herausforderung besiegen.

 

ABER du solltest vor dem Start der Schreibphase zwei Dinge plotten.

1. WER ist der Endgegner?

Das fällt bei vielen Geschichten leicht. 

Kompliziert wird es immer dann, wenn der Endgegner etwas Abstraktes ist (die Pubertät, die Ausgrenzung durch eine intolerante Gesellschaft, der faschistische Staat, mental health-Herausforderungen …). Dann muss man jetzt einen Repräsentanten oder eine Gruppe erfinden, die die Heldin im Showdown besiegt. Dadurch weiß man dann, welche Verkörperung des Gegners der Heldin von Anfang an Steine in den Weg wirft.

Klingt vielleicht theoretisch, aber das kommt in sehr vielen Romance-, Fantasy- und Science Fiction-Geschichten vor. »Das Imperium« in Star Wars hat nicht umsonst solche ikonischen Vertreter.

2. Welche Persönlichkeitsentwicklung steht dahinter?

Denk bei Showdown nicht immer (nur) an Konflikt und Kämpfe. Hinzu kommt eine Persönlichkeitsentwicklung.

Deine Heldin verfolgt das ganze Buch hindurch ein Ziel. Aber sie erreicht es nicht, sonst wäre das Buch nach 10 Seiten vorbei. Es gibt äußere Faktoren, warum sie das Ziel nicht erreicht. Aber es gibt auch innere Faktoren. Im Plotten nennt man diese 

1.) die Schwächen – das sind Defizite, wie ein Skill, der ihr fehlt, oder so etwas wie Höhenangst, Angst vor Schlangen …

2.) die »Wunde« – das sind z. B. Traumata und andere psychologische Verletzungen, die ihr Verhalten beeinflussen.

Wichtig: Die Heldin kann »blinde Flecken« haben und deshalb ihre(Charakter-)Schwächen oder psychologischen Wunden eine ganze Weile nicht erkennen. Sie werden ihr evtl. bewusst – trotzdem scheitert sie am darkest moment. Denn als es ums Ganze ging, hat sie es nicht gepackt. Die Defizite waren (noch) zu stark.

Sie nimmt einen neuen Anlauf und stürzt sich in den großen Konflikt: den Showdown.

 

Ein richtiger Showdown ist deshalb mehr als der letzte Kampf, um das Ziel endlich zu erreichen.

Ein gut geschriebener Showdown spielt wieder die Schwächen/die Wunde der Heldin aus – und auch, wenn sie dabei innerlich fast draufgeht: Dieses Mal gelingt es ihr, sich zu verändern, die frühere Verletzung bzw. die Schwäche zu überwinden. Und genau deswegen gehört ihr der Sieg am Ende des Buches.

 

Ich breite das hier so aus, weil es dir helfen kann, von Anfang an ein 3-dimensionales Buch zu schreiben, wenn du vor dem Start in die Schreibphase weißt, welche Schwäche/Wunde die Heldin im Showdown überwindet. Dann kannst du die vorherigen Herausforderungen dem anpassen.

Schlüsselszenen und Buchseiten

Es gibt natürlich noch mehr wichtige Szenen und Stationen für einen Roman. Aber diese hier sind schon umfangreich genug, um Pantsern eine Chance zu geben, dass sie ihren Roman bis zum Ende durchziehen. Und, auch wichtig, dass die Überarbeitungsphase nicht unendlich lang wird, weil du später merkst, dass es keinen roten Faden gibt.

 

Mach dir vor dem Startschuss der Schreibphase noch klar:

Es ist im ersten Entwurf (first draft) egal, ob du ganz genau diese Seitenvorgaben erreichst. Ob der erste Entwurf deines Urban Fantasy Romans 240 oder 320 Seiten hat, macht keinen Unterschied. 

Aber wenn sich die meisten Schlüsselszenen auf den ersten 40 Seiten drubbeln und dann kommt 130 Seite Langeweile und zum Schluss Darkest Moment und Showdown auf 5 Seiten lieblos abgespult: Das liest sich nicht spannend. Und es wird eine Heidenarbeit, das zu verbessern.