»Mein Text will nicht«: Verändere deine Schreibumgebung
Menschen hängen unglaublich hartnäckig an der Schreibumgebung, die sie einmal gedanklich als »korrekt« abgespeichert haben.
Leider speichert man dann genauso irgendwann ab »Bei mir entsteht kein Text! Ich bin blockiert.« oder »Ich kann einfach nicht schreiben.«
Man schiebt das dann aber auf die eigene Unzulänglichkeit (»Ich kann nicht gut schreiben«, »Warum kann ich mich nicht konzentrieren?« etc.), anstatt auf die erlernte Schreibumgebung.
Deshalb ist oft die einfachste Lösung bei Schreibblockaden: Wechsele die Schreibumgebung.
Probiere aus, welche Aspekte dich beim Schreiben stören oder ablenken, das kann sein:
- die tatsächliche physische Schreibumgebung,
- die Sinneseindrücke deiner Schreibumgebung
- die virtuelle Schreibumgebung (Schreibprogramme, digital versus von Hand schreiben, …)
In diesem Blogpost schauen wir uns alle drei Varianten der Schreibumgebung näher an, mit praktischen Tipps aus meinen eigenen Schreibsessions und Erfahrungen aus dem Schreibcoaching mit KundInnen.
Inhaltsverzeichniss
Schreibumgebung 1: Wechsel den Schreibort
Im NLP (neurolinguistische Programmierung) empfiehlt man Menschen, wenn sie sich z. B. bei einer Präsentation verhaspeln, den Ort zu wechseln. Also statt links auf der Bühne zu stehen, nach rechts zu gehen o.ä. Der physische Ortswechsel bringt die Konzentration zurück.
- Nimm das Notebook mit in die Küche oder aufs Sofa, anstatt am Schreibtisch zu arbeiten.
- Schreib den Text auf dem Balkon
- Mache einen Spaziergang und schreibe in Gedanken den Text weiter. (Mit Handy in der Tasche, damit du Ideen gleich diktieren oder aufschreiben kannst.)
Denk über diese Wechsel der Schreibumgebung nicht weiter nach!
Es ist kein »Versagen«, wenn ein Text mal nicht am Schreibtisch, sondern an den Küchentisch geklemmt oder im lauten Café entsteht!
Schreibumgebung 2: Wechsel die sensorische Umgebung
Mach dir die »sensorische« Umgebung bewusst, in der du arbeitest. Auch sie gehört zur »Location«.
Gehe einmal alle Sinne durch, ob es da ablenkende Faktoren gibt:
- das Kopfhörerkabel, das sich mit jedem Tippen auf der Tastatur nervend um dein Handgelenk schlingt
- die störrische Maus, die man hochheben und absetzen muss o.ä.
- Ist es stickig, ohne eine Spur von Sauerstoff?
- Kratzt der Pulli mit jeder Handbewegung?
Mit Ausnahme der bockigen Maus und des nervigen Kabelsalats fallen dir diese sensorischen Eindrücke aber meist nicht mehr auf, wenn du tief ins Schreiben eingetaucht bist.
Der Sinn, der am ehesten das Schreiben torpediert, ist der Hörsinn.
Hier gibt es häufig ein Zuviel an Geräuschen, das wir zähneknirschend ertragen – aber tatsächlich auch ein »Zuwenig«.
Spitze Schreie aus dem Kinderzimmer oder laute Telefongespräche des Kollegen am Nachbarschreibtisch sind Gift für die Konzentration.
Aber auch Hintergrundgeräusche können dich stark ablenken. Da sie zu einem fast unbemerkten Hintergrundrauschen verschwimmen, laufen sie häufig so unterschwellig ab, dass man sie gar nicht als Störfaktor bemerkt.
In diesem Blogpost liest du mehr dazu, wieso es sinnvoll sein kann, sich von Geräuschen abzuschirmen: »Noice Cancelling Headphones«
Schreibmarathon „weit weg von allem“
Natürlich kannst du zum konzentrierten Schreiben »in die Stille ziehen«. Du reihst dich damit in eine lange Autorentradition ein. Man geht in das AirBnB Apartment am Arsch der Welt oder in ein Ferienhaus im Wald – »und da wird dann jetzt konzentriert gearbeitet«.
Achtung: Wenn du das produktive Schreiben nicht gewöhnt bist, läufst du Gefahr, dass es auch in der Stille »klemmt« mit dem Schreiben. Vor allem, wenn du erwartest, von 0 auf 180 Schreibtouren zu kommen: Monatelang kaum schreiben und dann vier Tage lang acht Stunden am Tag schreiben? Das funktioniert meist nicht.
Als Einstieg sinnvoller ist das Arbeiten mit Noise-Cancelling-Headphones. (siehe Blogpost). So gewöhnst du dir produktives Arbeiten in (relativer) Stille an deinem eigenen Schreibtisch an – und kannst in kurzen Etappen produktiv schreiben erlernen. Diese Etappen kannst du dann zum Beispiel am Wochenende um ein paar Stunden verlängern. Wenn das zur Gewohnheit geworden ist, lohnt sich durchaus das verlängerte Schreibwochenende in Stille.
Warum reite ich immer auf den Kopfhörern mit Geräuschunterdrückung herum?
Weil wir in einem Neubau mit Rigipswänden leben und mein Arbeitszimmer sich eine Wand mit dem Kinderzimmer teilt. Ich konnte nach dem Umzug längere Zeit nur in der Küche am Notebook arbeiten. Denn meine Söhne zocken und der jüngste ist dabei über WhatsApp Audio mit seinen Kumpels verbunden. Das laute Geschrei durchbrach jede noch so tolle Konzentration.
Speziell Menschen, die von zu Hause arbeiten, können da ein Lied von singen. Ob es die Kinder sind, der rumpelnde Wäschetrockner, das Nölen der Katze, Hunde, die alle 20 Minuten jemanden verbellen … Jedesmal wird man aus dem Texten gerissen. Für Nicht-Textprofis dauert es laut Studien etwa 20 Minuten, um wieder in den Textfluss zu kommen. Klar, dass da am heimischen Schreibtisch nicht so viel entsteht.
Aber ich schreibe nur Geschichten mit Musik im Ohr. Konzentrierte Admin-Tätigkeiten, Kundentexte etc. würde ich nie mit Songs im Ohr bearbeiten.
Eine Bekannte, Autorin und Übersetzerin im Home-Office, brachte mich dann drauf, dass ich ja Instrumental- oder klassische Musik über NC-Kopfhörer einspielen könnte. Das war ein absoluter Game Changer für mich im Home Office– und ich benutze das Wort wirklich selten.
Es war der Unterschied zwischen »alle 15 bis 20 Minuten rausgerissen werden nachmittags« und »vier Stunden am Stück durcharbeiten«.
Zu viel Stille?
Warum nicht einfach nur die Kopfhörer aufsetzen, ohne Musikeinspielung?
Zum einen überdecken sie dann meist nur Hintergrundgeräusche. Den Trockner hätte ich nicht mehr gehört, den gellenden Teenager-Schrei »Wieso habe ich im Waffen-Cache nur eine Banane gefunden?!« nicht. 😉
Das »Schreiben in Stille« ist außerdem weniger hilfreich als sein Ruf.
Dein innerer Kritiker liebt es, wenn du dich in völliger Stille an deinen Computer setzt. Jetzt kann er dir so richtig überzeugend einflüstern, wieso du nicht schreiben kannst.
Sofern du noch keine Judo-Moves beherrschst, um die Innere Kritik in die Schranken zu verweisen, kann es deshalb Gift für dein Schreiben sein, in Stille zu schreiben.
Im Blogpost »Schreiben mit Musik« erfährst du, was die richtige Hintergrundgeräuschkulisse für dein Schreiben sein könnte – und warum dich peppige Musik tatsächlich in Schreiblaune versetzt. (Spoiler: Du musst die Musik gar nicht unbedingt direkt beim Schreiben hören.)
Ab und zu im Café zu schreiben, kann auch gut sein – oder hol dir die Café´-Kulisse nach Hause mit Hilfe von »Soundscapes«.
So nennt man Klanglandschaften in Englisch und das Stichwort liefert bei der Suche auf Spotify oder YouTube schöne Klangteppiche fürs Schreiben.
Wähl die Klanglandschaft aber nicht zu entspannend! Die Gründe findest du im Artikel »Schreiben mit Musik«.
Schreibumgebung 3: Wechsel das Schreibmedium
- Schreibst du, wie Neil Gaiman, deine Texte von Hand?
- Tippst du sie am Computer?
- In welchem Programm?
Wenn ich am Computer sitze und es kommt kein Text, obwohl ich alle Tipps und Tricks, die ich im Blogpost »Schreibblockaden lösen« aufführe, anwende, dann wechsele ich das Schreibmedium.
Probier aus, was bei dir hilft:
- Wechsele aus dem aktuellen Programm in ein anderes, also z. B. aus Scrivener in GoogleDoks oder aus Word in einen schnöden Text-Editor.
- Benutze ein spielerisches Online-Tool wie Write or Die (möglichst ohne Kamikaze-Modus, wo dein Text zerstört wird, wenn du pausierst. 😉 oder »The Most Dangerous Writing App«
- Schreibe mit Füller in einer Kladde weiter statt an der Tastatur.
- Wechsel vom Tippen auf Spracherkennung am Handy, z. B. in der Notizen-App
- Welche anderen Medien fallen dir noch ein?
Word Verbot
Viele Menschen glauben, dass Microsoft Word (oder Pages auf dem Mac) die idealen Programme für das Erstellen von Texten sind.
Spoiler Alert: Das sind sie ganz und gar nicht!
Weil es so viele Möglichkeiten zur Formatierung gibt, bremsen sie deinen Fortschritt aus. Noch schlimmer: Sie katapultieren dich beim Öffnen der Datei auf Seite 1 zurück.
Das führt dazu, dass Seite 1 bis 10 wunderbar formatiert und tausendfach überarbeitet sind – aber der Text ist immer noch nicht fertig.
Deswegen liebe ich Autorenprogramme wie Scrivener: Der Inhalt wird losgelöst von der Formatierung. Man schreibt einfach drauflos – und legt erst am Ende des Schreibprozesses, also wenn der Text fertig und überarbeitet ist, die Formatierung fest. Diese lässt sich auch mit ein paar Klicks komplett für das gesamte Buch ändern.
Wenn du diszipliniert bist, kannst du genauso natürlich auch in Word arbeiten. Aber durch die Darstellung auf »Seiten« laden Word, Pages, GoogleDoks & Co. dazu ein, schon während des Schreibens ständig mit dem Layout herumzubasteln. Und das dann als »Schreibzeit« zu verbuchen …
Du brauchst nicht Scrivener, um dieser perfektionistischen Umgebung zu entfliehen. Jede simple App, in der du im Endlos-Scroll Texte eingeben kannst, reicht aus.
In einem Kreatives-Schreiben-Kurs an einer Schule fragte mich ein Teilnehmer, ob ich mir einen Kurzgeschichtenanfang von ihm ansehen könne, er sei nicht glücklich damit. Ich erwartete einen Ausdruck – er drückte mir sein Handy in die Hand.
Er schrieb seine Kurzgeschichten im Bus während des Pendelns zur Schule und zurück in die Notiz-App des Handys.
Ganze Romane würde ich nicht so schreiben. Einzelne Szenen durchaus.
Schreibumgebung wechseln bringt neue Impulse
Welche Version des Wechsels du ausprobierst: Denk über diese Wechsel nicht weiter nach!
Es ist kein »Versagen«, wenn ein Text mal nicht am Schreibtisch sondern an den Küchentisch geklemmt oder im lauten Café entsteht!
Es kann sein, dass in der bisherigen Umgebung zwar immer alles geklappt hat, aber heute ist bei dir mehr Druck auf dem Kessel oder mehr Ablenkung … und deshalb funktioniert es am gewohnten Ort nicht.
So what?! Auf geht’s, einen neuen Ort ausprobieren. Das sollte eine spontane Entscheidung sein und sofort Taten folgen. Also eben NICHT: »dafür muss ich erstmal den anderen Schreibtisch/das Büro aufräumen« oder »ein cooles Café suchen«. Das ist nur Prokrastination!
- Es klemmt am unordentlichen Schreibtisch? Stell dich mit dem Notebook vor das Sideboard im Flur, wo der Blick auf die leere Wand fällt.
- Es gibt nichts in der richtigen Höhe zum Sitzen oder stehen? Setz dich auf das Sofa und leg eine Schreibkladde auf deinen Beinen ab. Stift in die Hand: auf geht's.
Du sollst ja nicht sieben Stunden in dieser Position schreiben sondern eine Schreibsession von 20–40 Minuten lang!
Sobald es wieder richtig »fließt«, kannst du in deine gewohnte Schreibumgebung zurückwechseln.
Ich bleibe meist noch kurz in der neuen Umgebung, wo es »läuft«, und hänge noch einen Schreibsprint an.
Denk dran: Beende die aktuelle Schreibsession, solange du noch Ideen dafür hast, wie es weitergeht, damit du die nächste Schreibsession nicht mit einem leeren Blatt startest!
Vielleicht ist deine »korrekte« Schreibumgebung Mist?
Hinterfrage nach ein paar Experimenten auch mal deine »korrekte« Schreibumgebung!
Hat es einen Grund, dass du häufiger »flüchten« musst, um produktiv zu schreiben?
- Es ist zum Beispiel produktiver, vom Schreibtisch aus auf eine Wand als aus dem Fenster zu schauen. (Wirklich.)
- Ist der Schreibtisch oder der Stuhl vielleicht nicht gut für dich geeignet?
- Ist die Software für dich ungeeignet?
Letzteres kann ganz subjektiv sein.
Ich arbeite zum Beispiel für Textkunden häufig in GoogleDoks. Aber als ich in Kooperation mit einer Autorin in GoogleDoks einen Roman schreiben wollte, war ich gehemmt. Es fühlte sich in GoogleDoks an, als ob konstant jemand »mitlas«. Nicht speziell die Ko-Autorin (das wäre mir egal), sondern »irgendwer«. Vielleicht, weil ich sonst in Scrivener auf dem Computer schreibe, also in einer lokalen Umgebung, die sich für mich als »safe space« anfühlt. (Noch „safer“: mein Leuchtturm-Notizbuch.)
Mein Gehirn weiß, dass man in GoogleDoks sieht, ob jemand anderes in dem Dokument online ist. Und selbst wenn die Ko-Autorin mitlesen würde, wäre das egal: Sobald ich den ersten Entwurf hochlade, sieht sie ihn sowieso. Aber das Unterbewusstsein bockte und streikte. Das kann man mit Training alles überwinden und sich mühsam an so gut wie jede Schreibumgebung gewöhnen. Aber warum sollte ich da Zeit investieren, wenn ich ein Autorenprogramm besitze, in dem ich flüssig schreibe?
… um mal einen Song aus den 90ern schlecht zu paraphrasieren. 😉
Bewegung hilft bei der Konzentration, das ist neurowissenschaftlich bewiesen. (Mehr dazu liest du im Blogpost »Musik zum Schreiben von Texten«.)
Der mehrfache Bestsellerautor Morgan Housel hat im Interview mit Tim Ferriss (Podcast #702) erzählt, dass er beim Schreiben eines Blogposts oder Kapitels losschreibt und erst dann aufhört, wenn er damit fertig ist. Er macht für jeden Blogpost bzw. jedes Buchkapitel etwa 3 Spaziergänge, währenddessen denkt er die ganze Zeit an den Text. Das helfe ihm jedes Mal, um dann zurück am Schreibtisch flüssig weiterzuschreiben. Wenn das Wetter schlecht sei, laufe er durchs Haus, mache die Wäsche … »irgendetwas, das mich in Bewegung bringt«.
Wichtig
Wenn du nicht nur ab und zu Texte schreibst, sondern regelmäßig, ist der Wechsel zurück an den Schreibtisch wichtig. Und auch der Weg zurück in ein professionelles Autorenprogramm!
Es gibt schon zu viele scheinbar »lustige« Geschichten von AutorInnen, die nur noch im Bett sitzend, in bestimmten Klamotten oder nur in ihrem Lieblingscafé etc. schreiben »können«.
Denn wenn man erst einmal 300 Seiten und mehr ohne Schreibhemmung an einer Location geschrieben hat, nimmt der Bezug Ort = Produktivität schnell mystische Ausmaße an!
Es ist ganz wichtig, dass jedes Tool, das du für dein Schreiben verwendest, nachhaltig ist.
Dass du also z. B. nicht stundenlang jeden Tag auf einen Notebookbildschirm hinunterguckst und dich nach ein paar Wochen Nacken- und Schulterschmerzen plagen etc.
Ich schreibe auch nur einzelne Szenen von Hand in eine Kladde oder in eine Notiz-App und kehre dann an den Computer zurück.
(Das muss man aber nicht. Wenn du von Hand flüssig schreibst, bleib dabei. Du bist in guter Gesellschaft von vielen anderen produktiven AutorInnen.)